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Ausgabe vom 5. Juli 2024
Ausblick 2. Halbjahr 2024: keine Panik auf der Titanic?
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
in den ersten Monaten dieses Jahres stand an den Kapitalmärkten neben den geopolitischen Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten eine Frage im Fokus: Wann sinken die Zinsen wieder und wie stark? Zu Jahresbeginn wurden in den USA zunächst sechs und dann zur Jahresmitte deutlich weniger als zwei Zinssenkungen erwartet. Jetzt ist es so, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre kommunikativ sehr intensiv vorbereite Zinssenkung im Rahmen ihrer Juni-Sitzung umgesetzt hat. Sie senkte die Zinsen das erste Mal seit fünf Jahren um 0,25 % auf 4,25 %. Nun dürfte sie zunächst auf die US-Notenbank (FED) warten, bevor ein weiterer Zinsschritt folgen sollte.
Die FED wird aller Voraussicht nach vorerst noch abwartend (in Zentralbanker Sprache: „datenabhängig“) agieren. Die Inflationsrate (aktuell bei +3,5 %) notiert noch deutlich oberhalb der angestrebten Zielmarke von +2,0 %. Arbeitsmarkt und Lohnentwicklung sind robust. Wir erwarten dennoch in den USA noch zwei Zinssenkungen bis Jahresende 2024. Die erste am 18. September, also noch vor den US-Präsidentschaftswahlen am 5. November 2024.
Jenseits des Zinsausblicks gibt es noch viele andere beachtenswerte Entwicklungen, hinter denen sich Investmentmöglichkeiten verbergen könnten.
1. Europa dürfte in den nächsten Wochen viel Aufmerksamkeit erhalten. Auch für Anleger könnte der „alte Kontinent“ wieder interessant werden. Wie oben erwähnt dürfte der Eurozone die klarer als anderswo ersichtliche Zinssenkungsfantasie helfen. Darüber hinaus scheint die konjunkturelle Talsohle in den meisten Ländern durchschritten – vor allem konjunkturelle Frühindikatoren verbessern sich wieder. Eine Bodenbildung bei den Auftragseingängen aus dem Ausland erfreut die Exporteure. Für Aufmerksamkeit sorgte indessen die Europawahl. Der Rechtsruck in den Euro-Kernländern Frankreich und Deutschland verunsichert internationale Investoren aus den USA und Asien nun wieder etwas mehr. In Frankreich stehen Ende Juni und am 7. Juli (2. Wahlgang) Neuwahlen zum Parlament an, nachdem Präsident Macron diese direkt nach der Europawahl am 9. Juni ankündigte.
2. In China verstärkt die politische Führung ihre Anstrengungen gegen die andauernde Krise auf dem Immobilienmarkt. Dabei geht es vor allem darum, die Bestände unverkaufter und teilweise unvollendeter Wohnungen zu verringern. Für diese sollen zunächst neue Käuferschichten erschlossen werden, weshalb man vielerorts die Regularien rund um den Immobilienkauf merklich lockert beziehungsweise die Hypothekenzinsen senkt. Gleichzeitig sollen die Lokalregierungen über verschiedene Vehikel Wohnungsbestände aufkaufen und dabei auf Finanzierungshilfen der Zentralregierung oder der Zentralbank zurückgreifen können. Rund 4 % des chinesischen Bruttoinlandsprodukts könnten mobilisiert werden. Diese Nachrichten, in Kombination mit Stützungsmaßnahmen für die Aktienmärkte, haben den gebeutelten Aktienbörsen in Hong Kong und Shanghai wieder Leben eingehaucht. Als Risiko für China sehen wir die anstehenden Wahlen in den USA. Sowohl die Rhetorik von US-Präsident Biden als auch von Ex-US-Präsident Trump lassen auf höhere Importzölle auf chinesische Produkte schließen. Auch die EU hat vor kurzem Zölle auf chinesische Importe (u. a. Autos) kräftig erhöht. China wird voraussichtlich mit ähnlichen Sanktionen reagieren. Wir nennen das „tit for tat“-Politik („Wie Du mir, so ich Dir“).
3. Ein mittelfristig begrenztes Angebot, strukturell stetig steigende Nachfrage in Sachen Elektrifizierung sowie die verbesserten Konjunkturdaten u. a. aus China haben den Kupferpreis auf neue Rekordhöhen gehoben. Auch andere Industriemetalle haben sich seit Jahresanfang verteuern können. Dies ist grundsätzlich ein Zeichen, dass die Weltwirtschaft voranschreitet. Wir denken, dass die globale Wirtschaft derzeit in der Nähe ihres Potentials, also entlang ihrer normalen Auslastung, wächst. Das bedeutet aber auch, dass Inflationsbekämpfung ohne Nachfragedämpfung schwierig bleiben wird.
Zentrales Anlagethema: „KI“ – Künstliche Intelligenz
Die Künstliche Intelligenz war ein wichtiger Treiber für die Aktienrenditen und sollte es unserer Einschätzung nach auch bleiben, wenn Technologien zunehmend verbessert und gewerbliche Anwendungen weiterentwickelt werden. Anfang 2023 ließ das Potenzial von KI-Technologien, breit gefächerte Produktivitätssteigerungen zu ermöglichen und den Weg für neue Analysemöglichkeiten zu ebnen, die Kurs-Gewinn-Verhältnis-Multiplikatoren (KGV-Bewertungen) in die Höhe schnellen, insbesondere bei Technologieunternehmen. Seither wurden neue Produkte eingeführt, immer leistungsfähigere Hardwarekomponenten entwickelt, messbare Effizienzgewinne erzielt und die Investitionsausgaben erhöht, während immer mehr Unternehmen die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz für sich erschließen. Damit wurde ein erhebliches Gewinnwachstum bei Unternehmen angestoßen, die in der Versorgungs-kette der KI-Infrastruktur angesiedelt sind, wobei die Nachfrage das Angebot in absehbarer Zukunft übersteigen könnte. Und nicht nur Technologieunternehmen räumen ihren KI-Investitionen oberste Priorität ein. Breiter gefasste Umfragen unter Firmenlenkern legen nahe, dass die Technologiebudgets nach zwei Jahren der Kürzung im Jahr 2024 wieder umfangreicher ausfallen sollten.
Generative KI-Technologien, die Bilder, Texte oder Videos erstellen können, befinden sich in einem sehr frühen Stadium. Ihr beträchtliches Wachstumspotenzial und das umfangreiche Kapital der führenden Akteure lassen jedoch darauf schließen, dass es sich hier trotz der erhöhten Bewertungen nicht um eine Blase handelt. Laut dem Investmenthaus Pimco liegt für namhafte Aktien mit KI-Bezug die Konsenserwartung bei einem Gewinnwachstum von über 30 % im Jahr 2024 sowie von 28 % im Jahr 2025, was deutlich über dem geschätzten Gewinnwachstum am breiteren US-Aktienmarkt liegt. Zurzeit fließen KI-Investitionen primär in Hardware, sodass Anbieter von grundlegender Infrastruktur die größten Nutznießer sind. Beispiele hierfür sind Halbleiter, Server, Netzwerke und Rechenzentren. Fachleute der Branche prognostizieren, wird sich die installierte Rechenzentrumskapazität in den nächsten vier oder fünf Jahren auf zwei Billionen US-Dollar verdoppeln.
Mit dem Ausreifen der grundlegenden Infrastruktur wird sich der Wirkungsbereich der künstlichen Intelligenz noch vergrößern, weswegen Anleger die bevorstehenden Entwicklungen antizipieren sollten. So hat der Markt den enormen Energiebedarf von KI-Technologien erkannt und Energieversorger belohnt, die gut für die Belieferung von Rechenzentren aufgestellt sind. Im Versorgungs- und Energiesektor sowie in der Gesundheits-, Technologie- und nahezu allen anderen Branchen im S&P hat die Zahl der Unternehmen, in deren Telefonkonferenzen zur Gewinnsituation über KI gesprochen wurde, markant zugenommen.
Zu den künftigen Nutznießern der KI-Thematik werden der Erwartung nach folgende Akteure zählen:
- Ausgewählte Hard- und Softwareunternehmen, die Anwendungen für Endnutzer konzipieren. Dies reicht von der Halbleiterproduktion über Chipdesign, Cloud und Rechenzentren bis zu Unternehmen, die zur Stromversorgung beitragen („Wegbereiter-Ebene“).
- Unternehmen, die die Instrumente aus der Intelligenz-Ebene in konkrete Anwendungsfälle integrieren („Intelligenz-Ebene“). Dazu zählen Entwickler großer Sprachmodelle ebenso wie Unternehmen, die Datenbestände besitzen, die in Intelligenz umgewandelt werden können.
- Anwender, die ihren Arbeitsaufwand automatisieren und ihre Kosten senken können. Co-Piloten, Programmierungsassistenten, digitale Werbung, Callcenter, Cybersicherheit und Fintech zählen u. E. derzeit zu den vielversprechendsten Anwendungsbereichen („Anwender-Ebene“). Forschung und Entwicklung im Gesundheitswesen (Biotech-Branche) könnte vor allem profitieren, da KI über das Potenzial verfügt, den Prozess der Arzneimittelforschung merklich zu beschleunigen.
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